Du Herr der ganzen Welt, der du uns hauszuhalten
- Rechnungsstellung zum Ende des Jahres -
1.) Du Herr der ganzen Welt, der du uns hauszuhalten
In deinem Dienst zu stehn, das Deine zu verwalten
Auf Erden hergesandt: Hier steh auch ich vor dir
Und trag aufs vorigs Jahr dir meine Rechnung für.
2.) Sieh meine Titel (a) durch: was gabst du mir für Samen,
Die Seele zu besän in deines Sohnes Namen?
Das ist dein reines Wort, das Christus eingefasst,
Wo ist die Frucht davon, die du versprochen hast?
3.) Das sollen Werke sein, die wieder Früchte bringen,
Die aus des Geistes Tau und Regenguss entspringen.
Mein Leben ist das Feld, der Pflug ist dein Gebot,
Der Dung zur Fruchtbarkeit ist Christi Blut und Tod.
4.) Nun soll ich Rechnung auch von meinen Worten geben:
Des Mundes Gartenwerk soll auch voll Frucht und Leben,
Voll Obst und Lehre sein der Lieb' und Freundlichkeit,
Die Zung' ist da der Baum, der Geist die Reifenszeit.
5.) Jetzt kommt die große Reih' von mancherlei Gedanken
Der Seelen Regungs-Art nach unterschiednen Schranken.
Das ist der Tiere Zahl, die du mir anvertraut,
Und mein Gemüt in dir zu seinen Füßen schaut.
6.) Hier ist, was lüsternd heißt in meinem untern Wesen,
So weit dir's, Herr, beliebt in Ordnung herzulesen:
An Fischen, Bienen, Vieh, an Schafen, Geiß' und Schwein
Kaninchen und Geflüg' und was noch mehr mag sein.
7.) Das ist Kaltsinnigkeit, das ist des Fleisches Regen,
Begierd' auf großen Nutz, und nicht von meinetwegen.
Auch kleines Vorteils Art, der Andern Nutzen bringt,
Dazu die Munterkeit, wo sie nach Gutem ringt.
8.) Auch Fleiß, was unrein ist, mit Vorteil anzubringen,
Zum Gutes fruchtbar sein, oft in die Höh' zu dringen.
Und was sich unten mehr mit Leidenschaften regt,
Das schau, wie weit es dir, was nützt und Früchte trägt.
9.) Nun kommt der Mittelteil, sonst auch der Geist zu nennen,
Indem der Zorn sich regt, und seinen Trieb lässt brennen.
Das werden Pferde sein, wozu mir deine Kraft
Geschirr (b) und Strick und Zaum und Zügel schafft.
10.) Denn dieses Leidenswerk ist nötig zu regieren,
Wenn man dies alles soll zu deinem Nutzen führen:
Dies ist des Eifers Trieb dadurch der Wagen geht,
In dem das ganze Werk des rechten Lebens steht. (c)
11.) Noch ist das Oberteil, das ich in mir befinde,
Die Wirkung der Vernunft, dem gleicht sich das Gesinde.
Das hast du mir, o Herr, mit andern anvertraut.
Hier ist die Rechnung nun: Schau wie ich nachgeschaut.
12.) Wirst du nicht großen Nutz' bei meinem Haufen spüren,
So sei nicht scharf mit mir, hilf mir auf's neu regieren.
Gib deinen Segen mehr aus deiner großen Höh',
Dass ich durch deinen Sohn zur Rechnungszeit besteh'.
(a) (Rechnungs-)Posten
(b) Pferdegeschirr, Zaumzeug
(c) besteht
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Autor: Christian Knorr von Rosenroth
Melodie: Eigene Melodie
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Der Text wurde von mir behutsam, soweit
es die Strophenform und der Endreim zu-
ließen, in heutiges Hochdeutsch übertragen
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gefunden in Christian Knorr von Rosenroth:
Neuer Helicon mit seinen neun Musen.
Das ist: Geistliche Sitten-Lieder,
von Erkäntnüs der wahren Glückseligkeit
und der Unglückseligkeit falscher Güter.
Von einem Liebhaber Christlicher Übungen.
verlegt bei Felßecker, Nürnberg 1699
Thema: Kirchen-Jahresende oder Jahresende
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Christian Anton Philipp Knorr von Rosenroth, (* 15. Juli 1636 in Alt-Raudten bei Wohlau in Schlesien/Böhmische Kronländer; † 4. Mai 1689 in Sulzbach in der Oberpfalz), war ein deutscher Universalgelehrter, Schriftsteller und evangelisch-lutherischer Kirchenlieddichter. Knorr von Rosenroth wurde als Sohn eines Pfarrers geboren und besuchte die Lateinschule in Fraustadt. Anschließend studierte er am Pädagogium in Stettin und ab 1655 Theologie, Jura, Geschichte, Philosophie, klassische und moderne Sprachen. Er schloss seine Studien im Jahr 1660 mit dem Magistertitel und einer Dissertation ab. In den folgenden Jahren setzte er seine Studien als Privatgelehrter fort, hielt sich vermutlich eine zeitlang in Wittenberg auf und bereiste von 1663 bis 1666 die Niederlande, Frankreich und England. Durch Vermittlung seines Freundes Franciscus Mercurius van Helmont (1614-1699) wurde er im Jahr 1668 Hof- und Kanzleirat des Pfalzgrafen Christian August zu Sulzbach (1622-1708). Knorr von Rosenroths Werk enthält Gelegenheitsdichtungen für den Sulzbacher Hof, Übertragungen von Sammlungen naturphilosophischer Werke und eine Zusammenstellung von Schriften der jüdischen Mystik. Von den vielen Liedern, die er für private Familiengelegenheiten dichtete, ist das Morgenlied 'Morgenglanz der Ewigkeit', für das er auf ein Gedicht von Martin Opitz (1597-1639) zurückgriff, noch heute sehr beliebt und steht u.a. im Evangelischen Gesangbuch (EG) von 1993 unter Nummer 450.
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